Die deutsche Naturdarmbranche blickt auf ein herausforderndes Geschäftsjahr 2023 zurück. Während die Ergebnisse in den vergangenen Jahren zufriedenstellend waren, kehrte sich dieser Trend in der zweiten Jahreshälfte um.
Die Zeit der Pandemie war geprägt vom Konsum zu Hause und der Bevorratung mit Lebensmitteln. Dies schlug sich auch in einer erhöhten Nachfrage nach Wurstwaren nieder. Dieser Trend endete 2023. Die Verbraucher zogen es vor, in den Urlaub zu fahren oder sich im Freien zu betätigen, sodass die Nachfrage ab der zweiten Jahreshälfte auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehrte. „Der Markt wurde aus den noch vorhandenen Lagerbeständen an Naturdärmen bedient, was zu einer geringeren Wertschöpfung führte”, heißt es beim Zentralverband Naturdarm, der Interessenvertretung der deutschen Branche. Deutschland ist das Zentrum des weltweiten Darmhandels und entsprechend spiegeln sich die Entwicklungen im Marktgeschehen wider. 2023 wurden hierzulande 165.295 t Naturdarm mit einem Gesamtwert von 888.612 Mio. Euro gehandelt. Dies entspricht einem Rückgang von jeweils rund 15 % gegenüber dem Vorjahr.
Kostendruck hält an
Der Rückgang der Wertschöpfung ist auch eine Folge des anhaltend hohen Kostendrucks. Neben gestiegenen Energie- und Lohnkosten betrifft das vor allem Transport und Infrastruktur. Hinzu kommen die Konflikte im Roten Meer. Die Frachter nehmen nun einen sichereren, aber deutlich längeren Weg um die Südspitze Afrikas, was die Transportzeit um zwei bis drei Wochen verlängert. Auch nationale Ereignisse bestimmen das Geschehen: Etwal im Hamburger Hafen, wo Arbeitsniederlegungen und damit verbundene Störungen in der Koordination der Lkw-Kapazitäten zu deutlich längeren Abfertigungszeiten führten.
Europa bleibt vorn
Die EU ist nach wie vor der wichtigste Handelspartner der deutschen Naturdarmwirtschaft. Zwar liegt der Anteil des außereuropäischen Marktes wertmäßig mit 422.098 Mio. Euro nicht weit unter dem der EU (466.514 Mio. Euro), mengenmäßig ist der Binnenmarkt mit 113.604 t aber mehr als doppelt so groß. Insgesamt entfallen 74.804 t des Handels mit den europäischen Partnern auf den Export und 38.799 t auf den Import. Vor allem in Frankreich, im Mittelmeerraum und in Osteuropa gehört Wurst zur kulinarischen Kultur mit entsprechend stabiler Nachfrage.
Chinesischer Markt herausfordernd
Im globalen Kontext ist der chinesische Markt von besonderer Bedeutung. Ein großer Anteil der dort produzierten Schafsdärme geht nach Deutschland, auch als Exporteur von Schweinedärmen spielt das Land eine wichtige Rolle. Darüber hinaus findet Lohnarbeit vor Ort statt. Zwar wird Wurst in China immer beliebter, wodurch auch der Eigenbedarf an Naturdärmen steigt. Ungeachtet dessen ist das Exportvolumen verlässlich stabil und bewegt sich auf hohem Mengenniveau. Traditionell pflegen die deutschen Naturdarmunternehmen enge Beziehungen zu ihren Partnern in China. „Unsere Branche ist klein- und mittelständisch geprägt, oft sind die Unternehmen seit Generationen in Familienbesitz. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in China ist über Jahrzehnte gewachsen, sie ist vertrauensvoll und funktioniert – wie die Pandemie gezeigt hat – auch in extrem schwierigen Zeiten zuverlässig und gut”, sagt Heike Molkenthin, Vorsitzende des Naturdarmverbandes.
Wurst als Kulturgut
Intensive Handelsbeziehungen unterhält die deutsche Naturdarmindustrie mit Brasilien, Von hier kommen hochwertige Rinderdärme. Im Gegenzug importiert Brasilien Schweine- und Schafsdärme aus Deutschland. Die Handelsbilanz beider Partner weist für 2023 einen Wert von 30 Mio. Euro. Angesichts eines wachsenden Eigenbedarfs und sinkender Schlachtzahlen ist mittelfristig mit einem Rückgang des Exports aus Brasilien zu rechnen. Das sei kein Grund zur Sorge, heißt es beim Naturdarmverband. „Unsere Branche stellt sich bereits darauf ein und wird die Nachfrage der Kunden ohne Engpässe bedienen können”, so Heike Molkenthin.
Zunehmend an Bedeutung gewinnt der Handel mit Südafrika, wo die Wurst traditionell einen hohen Stellenwert hat. Nicht nur der Grillgenuss „Braii“ ist fest in der Kultur verankert, auch die „Boerewors“, eine grobe Bratwurst, gehört zum Straßenbild und hat internationale Bekanntheit erlangt. Der Import von Naturdärmen aus Deutschland lag 2023 mit einem Plus von über 30 % deutlich über dem Vorjahreswert. „2023 war ein wechselhaftes Jahr für unsere Branche – nach einem guten Start haben sich die Rahmenbedingungen in der zweiten Jahreshälfte deutlich verschärft“, bilanziert der Naturdarmverband. Man sehe die aktuellen Entwicklungen als unternehmerische Herausforderung, aber nicht als langfristige Bedrohung.
2024 startet verhalten
Auch das laufende Jahr zeigt noch keine Trendwende im politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Im Gegenteil: Internationale Konflikte spitzen sich weiter zu und die daraus resultierenden Unsicherheiten beeinflussen das globale Marktgeschehen. Die Preise für einen Frachtcontainer sind im Sommer 2024 bereits viermal so hoch wie im Vorjahreszeitraum und verändern sich im Wochenrhythmus. Die Laufzeiten der Schiffe haben sich teilweise verdoppelt, da große Umwege in Kauf genommen werden müssen.
Neben dem Kostendruck beschäftigt die Branche hierzulande die enttäuschende Grillsaison, die aufgrund der Wetterextreme in 2024 sehr verhalten gestartet ist. Auch die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele konnten das Geschäft nicht beleben. „Wir müssen zwischen kurzfristigen Effekten und langfristigen Trends unterscheiden. Auf das Wetter und die Weltpolitik haben wir keinen Einfluss. Umso wichtiger ist es, sich auf unser Produkt zu konzentrieren“, so Heike Molkenthin. Eine sehr wichtige Zielgruppe sind die sog. Flexitarier, die sich besonders bewusst ernähren und großen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Hier punktet der Naturdarm mit überzeugenden Argumenten: Der Rohstoff ist die älteste Lebensmittelverpackung der Welt und als natürliche Ressource nach dem Nose-to-tail-Prinzip aktueller denn je.