Dem gegenüber stehen die positiven Wirkungen des Nitritzusatzes zu Fleischwaren:
* Bildung der Pökelfarbe
* Bildung des Pökelaromas
* Verzögerung oxidativer Veränderungen
* Hemmung bestimmter unerwünschter oder gefährlicher Mikroorganismen.
Diese Wirkungen können durch keine andere Einzelsubstanz erreicht werden, weder durch einen natürlichen Inhaltsstoff von Lebensmitteln noch durch einen chemisch-synthetischen Stoff. Somit unterscheiden sich die meisten ohne Nitritzusatz hergestellten Fleischerzeugnisse sensorisch merklich von denjenigen Fleischerzeugnissen, mit denen insbesondere die Öko-Neukunden vertraut sind. Manche Erzeugnisse sind ohne Nitritzusatz kaum herzustellen, z. B. schnellgereifte Rohwurst aus preisgünstigem Rohmaterial (unerwünschte mikrobielle Prozesse zu Fermentationsbeginn, mangelhafte Fettstabilität) oder Brühwürste mit Magerfleisch-Einlagen, die sich farblich nicht vom Grundbrät abheben und somit vom Kunden vor dem Kauf nicht gesehen werden. Ein Verzicht auf Pökelstoffe engt daher die Nutzungsmöglichkeiten für Teilstücke ein, die sich nicht zur Vermarktung als Ladenfleisch eignen, und erhöht somit tendenziell die Produktionskosten und die Preise von Ökofleisch.
Der Autor dieses Beitrags hat 1998 der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AGÖL) einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma vorgeschlagen, der auf folgenden Recherche-Ergebnissen und Überlegungen basierte:
1. Die Diskussion über die Nitritverwendung wird hauptsächlich mit gesundheitsbezogenen Argumenten geführt. Dies ist verständlich, ist doch das Motiv Gesundheitsschutz maßgeblich für staatliches Handeln und ein wesentlicher Faktor für Kaufentscheid und Mehrpreisakzeptanz. Allerdings basiert die These, man benötige Nitrit zum Schutz vor Botulismus, hauptsächlich auf Daten über das Verhalten von Clostridium botulinum in experimentell beimpften Modellsubstraten und wird durch epidemiologische Daten nicht gestützt: diese zeigen vielmehr die überragende Bedeutung von Fehlern bei der häuslichen Haltbarmachung von Lebensmitteln. Andererseits ist jedoch der Beitrag des Nitritzusatzes zur Bildung krebserregender Nitrosamine im Produkt oder im Körper wahrscheinlich deutlich geringer als vielfach angenommen. Eine umfassende toxikologische Bewertung des Nitritzusatzes muss außerdem die hemmende Wirkung des Nitrits auf die Bildung problematischer Stoffe durch oxidative Veränderungen von Lipiden und Cholesterol berücksichtigen.
2. Für die erwünschten sensorischen Eigenschaften von Pökelfleischerzeugnissen benötigt man weniger Nitrit als zur Hemmung unerwünschter Mikroorganismen
3. Die antimikrobielle Wirkung des Nitrits ist bei den meisten Fleischerzeugnissen durch andere Hürden ersetzbar
4. Der nach Richtlinie 95/2/EG und der ZZulV vom 29.01.1998 erlaubte Zusatz von Nitrit und Nitrat geht deutlich über das technologisch notwendige Maß hinaus, so dass sich eine Profilierungsmöglichkeit für Fleischerzeugnisse ergibt, deren Nitritzusatz konsequent minimiert wurde
5. Hinsichtlich der Zulassung toxikologisch problematischer Stoffe im Bereich der Herstellung von Öko-Lebensmitteln gibt es Präzedenzfälle: das Räuchern von Fleisch- und Fischerzeugnissen sowie der Einsatz von schwefliger Säure (einer chemisch-synthetisch hergestellten Substanz!) bei der Weinbereitung.
Einem auf diesen Überlegungen basierenden Vorschlag ist die AGÖL im Juli 1999 mit knapper Mehrheit gefolgt und hat unter anderem beschlossen, die Zugabemenge an Nitritpökelsalz (mit 0,4-0.5 % Natriumnitrit) auf 2 % bei Rohwurst und auf 1 % bei erhitzter Wurst zu begrenzen. Der Vorschlag wurde von den Verbänden NATURLAND und BIOPARK sowie von vielen verbandsunabhängigen Betrieben übernommen, nicht aber von BIOLAND, DEMETER und GÄA.
Wichtig ist, die Verarbeitungstechnik auf den verminderten oder fehlenden Nitritzusatz abzustimmen. Hierauf sollten Betriebe, Verbände, Kontrollstellen und Behörden verstärkt achten. Wegen der mikrobiologischen Problematik gilt dies besonders bei der Herstellung von Brühwurstkonserven und Rohwurst.