Öffentliche Anhörung am 08. Juli 2003

1. Allgemeine Einschätzungen:

Zunächst ist zur Marktbedeutung des Fleischerhandwerks festzustellen, dass die 18.600 Fleischer-Fachgeschäfte in Deutschland (zuzüglich 11.500 handwerklich betriebene Filialen) mit einem Jahresumsatz von 16,2 Milliarden Euro bei Fleisch und Fleischerzeugnissen einen Marktanteil von immerhin 46 Prozent behaupten können. Obwohl der deutsche Lebensmittelmarkt geprägt ist von einem geradezu wertevernichtenden Verdrängungswettbewerb, können sich die Fleischer-Fachgeschäfte gegenüber den marktmächtigen Lebensmitteleinzelhandelsketten und den Discountern damit durchaus am Markt bewähren. Dies gelingt Dank der hervorragenden Vorbereitung der Betriebsleiter durch den großen Befähigungsnachweis. Ohne entsprechende kaufmännische Vorbereitung auf den unerbittlichen Konkurrenzkampf in der Lebensmittelbranche sind Unternehmensgründer zum Scheitern verurteilt.

Die meisterliche Qualifikation im Fleischerhandwerk ist dabei nicht allein Garant für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch dafür, dass sichere Lebensmittel hergestellt und verkauft werden und ist daneben auch von hoher Bedeutung für den Erhalt unserer Agrar- und Ernährungskultur. So werden unter meisterlicher Anleitung im Fleischer-Fachgeschäft Lebensmittel meist aus der Region, häufig aus ökologischer Erzeugung unter Beachtung des Prinzips der Nachhaltigkeit hergestellt. Hierdurch wird der Erhalt und Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ebenso gewährleistet, wie die Vielfalt unserer regionalen Spezialitäten. Wenn auch die Qualität industrieller Massenprodukte in den vergangenen Jahrzehnten sicherlich etwas besser geworden ist, können diese doch niemals die regionale Vielfalt von beispielsweise 1.500 verschiedenen Wurstsorten in Deutschland ersetzen. Ausschließlich eine hohe, eben meisterliche, personelle Qualifikation des Betriebsleiters stellt sicher, dass fleischerhandwerkliche Qualitätstugenden und Regionalität im Interesse der Verbraucher mit den modernen technologischen Möglichkeiten effizient verknüpft werden können.

Aufgrund der berechtigten hohen Erwartungen der Verbraucher und auch der Bundesregierung an die Sicherheit, die Qualität und die regionale Vielfalt von Fleisch- und Wurstwaren erscheint die Einschränkung von Artikel 12 durch die Pflicht zur Ablegung des Großen Befähigungsnachweises in der aktuellen Situation so zeitgemäß zu sein, wie niemals zuvor. Vor allem im Interesse eines gesundheitlichen, vorbeugenden Verbraucherschutzes ist an die Qualifikation der Betriebsleiter im Fleischerhandwerk eine hohe Anforderung zu stellen.

2. Kriterium der „Gefahrengeneigtheit“ als alleinige Zugangsvoraussetzung zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in der Anlage A der HwO

Bei der Frage der Zuordnung eines Handwerks zur Anlage A allein auf die Gefahrengeneigtheit einer Tätigkeit abzustellen, scheint für das Lebensmittelhandwerk, insbesondere für das Fleischerhandwerk, unzureichend. Hervorzuheben ist die hohe Bedeutung der Meisterprüfung wiederum insbesondere im Hinblick auf die sich daraus ergebenden verbraucherschützenden Effekte. Bei den ca. 100 Millionen Kundenkontakten, die das Fleischerhandwerk pro Jahr verzeichnet, findet dies auch in zahlreichen Gesprächen und Feststellungen von Kundenseite seinen Niederschlag. Damit sollte ergänzend zum Kriterium der Gefahrengeneigtheit vor allem auf den Verbraucherschutz abgehoben werden.

Obwohl gegenwärtig die Preissensibilität der Verbraucher sehr hoch ist und dies den Umsatzanteil der Discounter gesteigert hat, ist darauf hinzuweisen, dass sich gerade in Krisenzeiten das hohe Vertrauen, das die Kunden „ihrem Metzgermeister“ entgegenbringen, zeigt. Als die Verbraucherverunsicherung aufgrund des Auftretens der ersten BSE Fälle in Deutschland am größten war, hatten die von Fleischermeistern geführten Fleischer-Fachgeschäfte in Deutschland Umsatzzuwächse im zweistelligen Bereich zu verzeichnen. Die meisterliche Qualifikation, die überschaubare Betriebsgröße und die räumliche Nähe zum Verbraucher wurden von den Kunden als Grund dafür genannt, dass man beim Metzger seines Vertrauens weiterhin Rindfleisch und Produkte mit Rindfleisch einkaufte. Auch die Erkenntnis der Kunden, dass ihr Fleischermeister persönlich in Verantwortung steht für die Qualität und die Unbedenklichkeit der von ihm hergestellten und verkauften Produkte führte zum Erhalt, in vielen Fällen zu einer Steigerung des Verbrauchervertrauens in handwerklich gewonnene Fleischprodukte. Häufig wurde der Betriebsleiter bzw. die Betriebsleiterin auch von Kunden um ein umfassendes Beratungsgespräch über die Herkunft und Sicherheit des Rindfleischs und der Rindfleischerzeugnisse gebeten. Die für eine kompetente Verbraucherinformation umfassende Kenntnis der gesamten Betriebsabläufe erschien den Verbrauchern wesentlich überzeugender, als umfangreiche schriftliche Deklarationen auf vorverpackter, industriell hergestellter Ware.

Aber nicht nur in Ausnahmezeiten erfordert aus Verbrauchersicht der Umgang mit Fleisch und Fleischerzeugnissen eine hohe Kompetenz. Kaum ein Lebensmittel stellt so hohe Anforderungen an das Wissen und Können derjenigen, die mit ihm umgehen. Dies findet seinen Niederschlag in einer Vielzahl von europäischen sowie nationalstaatlichen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien. Gerade der derzeit entstehenden Verordnung des europäischen Parlamentes und Rates über Lebensmittelhygiene, mit der 17 bestehende europäische Richtlinien konsolidiert werden sollen, lässt sich entnehmen, was Grundlage der Qualifikation im Fleischerhandwerk sein muss: “Ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit des Menschen ist eines der grundlegenden Ziele des Lebensmittelrechtes“. Diesem hohen Anspruch werden nur meisterlich qualifizierte Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter gerecht.

Hauptziel der neu entstehenden allgemeinen und spezifischen Hygienevorschriften auf europäischer Ebene ist es, hinsichtlich der Sicherheit von Lebensmitteln ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. In den Verordnungsentwürfen, wie auch schon in den vorhergehenden Richtlinien, wird stets betont, dass „die Hauptverantwortung für die Sicherheit eines Lebensmittels beim Lebensmittelunternehmer“ liegt. Den sich derzeit aus 17 europäischen Richtlinien ergebenden entsprechenden Anforderungen kann nur eine Unternehmerpersönlichkeit mit meisterlicher Qualifikation genügen. Auch wenn durch die neu entstehende europäische Lebensmittelhygiene-Verordnung die bislang zu beachtenden europäischen Richtlinien durch ein einheitliches Gesetzeswerk mit unmittelbarer nationaler Geltung abgelöst werden, ist kaum zu erwarten, dass sich hierdurch die Anforderungen an den Lebensmittelunternehmer verringern. Im Gegenteil ist in vielen Bereichen – aus Gründen des Verbraucherschutzes auch berechtigterweise – von einer Erweiterung des Aufgabenspektrums auszugehen.

Auch wenn 90 Prozent der für die Betriebsleiter im Fleischerhandwerk erforderlichen Vorschriften ihren Ursprung auf europäischer Ebene haben, finden sich auch auf nationaler Ebene über 100 verbraucherschützende, tierschützende und umweltbezogene Gesetze und Verordnungen.

Daher betonen wir noch einmal, dass neben dem Kriterium der Gefahrengeneigtheit vor allen Dingen der Verbraucherschutz eine wesentliche Rolle bei der Frage der Zuordnung eines Handwerks zur Anlage A spielen sollte. Nur wer in der Lage ist, die Vielzahl der verbraucherschützenden Vorschriften aufgrund seiner hohen beruflichen Qualifikation anzuwenden, kann qualitativ hochwertige und lebensmittelrechtlich einwandfreie Produkte herstellen und den Kunden anbieten.

3. Auswirkungen der Novelle auf die Ausbildung im Handwerk

Sowohl traditionelle Rezepturen als auch modernes Know How können jungen Menschen nur durch solche Persönlichkeiten vermittelt werden, die selbst über eine ausreichende Qualifikation verfügen und das Ausbilden ihrerseits gelernt haben. Gerade zur Weitergabe des im Fleischerhandwerk erforderlichen, umfangreichen Wissens ist ein hoher Grad an Ausbildereignung erforderlich. Dieser kann nicht während der Gesellenzeit erworben werden, sondern ist ausschließlich in der Meistervorbereitung zu vermitteln.

Wie bereits eingangs festgestellt, lassen die bisherigen Reaktionen der Inhaber von Fleischer-Fachgeschäften in Deutschland befürchten, dass die derzeit hohe Ausbildungsleistung unter der Beseitigung der Meisterpflicht dramatisch leiden würde. Von den bestehenden Fleischer- Fachgeschäften bilden in derzeit 10.785 Unternehmen die Meisterinnen und Meister Lehrlinge aus. Insgesamt haben 18.966 junge Menschen eine Ausbildungsstelle in den von unseren Betrieben angebotenen Ausbildungsberufen erhalten. Aus den seit dem Bekanntwerden der Inhalte der sog. HwO- Novelle der Bundesregierung bei uns in bislang nicht gekannter Zahl eingehenden Anrufen lässt sich aber leider entnehmen, dass bei einem Entfallen der Meisterpflicht die Ausbildungsbereitschaft drastisch absinkt.

4. Die deutsche Handwerksordnung im europäischen Vergleich und ihre Reformnotwendigkeit aufgrund europäischer Vorgaben

Wie die Erfahrungen der Unterzeichner in der europäischen Organisation der Fleischwarenbranche zeigen (der Rechtsunterzeichner ist gleichzeitig Generalsekretär der europäischen Branchenorganisation), bestehen europaweit über all dort Qualifikationsdefizite im Hinblick auf eine praxisgerechte Umsetzung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften, wo keine Personalqualifikation angeboten wird, die dem großen Befähigungsnachweis in Deutschland entspricht. Daher bemühen sich die Gremien des europäischen Verbandes der Fleischwarenbranche, dem 15 Mitgliedsorganisationen aus Europa angehören und der die Interessen von ca. 150.000 Betriebeneuropaweit vertritt, eine an den großen Befähigungsnachweis angelehnte Personalqualifizierungsmaßnahme zu entwickeln. Die Bemühungen der europäischen Organisation laufen darauf hinaus, vier Stufen der Personalqualifikation zu schaffen. Die Ausbildungsberechtigung wird nach der Auffassung aller Kollegen aus dem europäischen Ausland allerdings erst ab der Qualifikationsstufe zugesprochen, die der Meisterebene vergleichbar ist.

Überarbeitungsbedürftig erscheint aufgrund der Wünsche der europäischen Fleischwarenbranche allenfalls die deutschsprachige Terminologie im Rahmen der Personalqualifikation. Bei der Entwicklung sämtlicher Qualifizierungsmaßnahmen, wird aber stets das handwerkliche Aus-, Fort- und Weiterbildungssystem der Bundesrepublik Deutschland als „Benchmark“ angesehen. Die mit der Gesetzesnovelle der Bundesregierung einhergehende Zerschlagung der handwerklichen Ausbildungsstrukturen in Deutschland trifft bei allen europäischen Mitgliedsländern unserer Organisation auf größtes Unverständnis. Das gesetzgeberische Vorhaben der Bundesregierung ist auch vor diesem Hintergrund in der vorliegenden Form entschieden abzulehnen.

Gleichzeitig weisen wir allerdings darauf hin, dass das deutsche Handwerksrecht insgesamt durchaus reformbedürftig ist. Dabei sollte allerdings Bewährtes erhalten und nur Unzeitgemäßes oder Unpraktikables verändert werden. Die Vorschläge des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks finden unsere volle Unterstützung. Diesen Bestrebungen kommen die Anträge der FDP Fraktion und der Fraktion der CDU/CSU durchaus entgegen.

Abschließend möchten wir festhalten, dass nur die meisterliche Qualifikation des Betriebsleiters den Wunsch der Verbraucher nach Sicherheit, Transparenz und Vertrauen in Fleisch und Fleischerzeugnisse zu erfüllen vermag und der dauerhafte Erhalt von regionalen Spezialitäten und der damit verbundene Genuss sowie eine hohe Ausbildungseignung ebenfalls unmittelbar vom großen Befähigungsnachweis im Fleischerhandwerk abhängen. Der Linksunterzeichner ist gerne bereit, diese Ausführungen in zusammengefasster Form auch im Rahmen der mündlichen Anhörung am 08. Juli vorzutragen.

Mit freundlichen Grüßen

DEUTSCHER FLEISCHER-VERBAND
Manfred Rycken RA          Ingolf Jakobi
     Präsident              Hauptgeschäftsführer

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