Albert Schweitzer

Antibiotikaresistente Keime in Geflügel

Aktuell melden die Albert Schweitzer Stiftung und RTL eine Gefahr durch Krankheitserreger auf Geflügel des Discounters Lidl. 71 % der Proben von Hühnerfleisch der Eigenmarke „Metzgerfrisch“ wiesen antibiotikaresistente Keime auf. Die Stiftung und 15 andere Tierschutzorganisationen fordern das Unternehmen auf, die Standards der Europäischen Masthuhn-Initiative umzusetzen, um die Lebensbedingungen der Hühner zu verbessern. So könne der Discounter das Gesundheitsrisiko durch Keime aus dem Stall verringern. Die Tierschutzorganisationen hatten im 2022 erschreckende Videoaufnahmen aus mehreren Hühnermastbetrieben von Lidl-Lieferanten veröffentlicht. Schon 2020 stand der das Unternehmen in diesem Zusammenhang in den Schlagzeilen.

In 71 % der Proben wies ein unabhängiges Labor das Enzym ESBL nach, das die auf dem Fleisch gefundenen Bakterien immun gegen mehrere gängige Antibiotika macht. Bei der Mehrzahl der resistenten Bakterien (75 %) handelt es sich um den Fäkalkeim Escherichia coli, der Erkrankungen auslösen kann, z. B. Harnwegs- oder Magen-Darm-Infekte bis hin zu Sepsis. Zudem fand das Labor Krankheitserreger wie Enterokokken (25 % der Proben), Campylobacter (18 % der Proben) und Salmonellen (1 Probe). Enterokokken können Harnwegsinfekte, Herzinnenhautentzündungen oder auch Blutvergiftungen verursachen. Campylobacter und Salmonellen sind verantwortlich für Durchfallerkrankungen.

51 Proben untersucht

Untersucht wurden 51 Proben von Hühnerfleischprodukten (alle Haltungsform-Stufe 2 „Stallhaltung Plus“). Diese wurden im Januar und Februar 2023 in acht zufällig ausgewählten Lidl-Märkten in ganz Deutschland genommen. Nur sechs Proben waren unauffällig. Die Untersuchung durch das Labor erfolgte im Auftrag der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt. Dazu der Präsident der Albert Schweitzer Stiftung, Mahi Klosterhalfen: „Wie man sieht, bedeuten die Bedingungen in den Ställen der Lidl-Lieferanten nicht nur viel Elend für die Tiere, sondern sind auch gefährlich für uns Menschen. Wir erwarten, dass Lidl das Übel an der Wurzel packt, sich endlich daran macht, die Tierhaltung zu verbessern und der Europäischen Masthuhn-Initiative beitritt. So kann Lidl das Tierleid und Gefahren für uns Menschen reduzieren.“

Und Dr. Imke Lührs, Fachärztin für Innere Medizin, ehemalige Sachverständige im Bundestag und Vorstandsmitglied bei Ärzte gegen Massentierhaltung ergänzt: „Die große Mehrzahl der Proben ist mit für Menschen potenziell gefährlichen Erregern kontaminiert. Der hohe Anteil von antibiotikaresistenten Keimen auf dem Fleisch ist absolut besorgniserregend.”

Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und ehemaliger Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer: „Die Entscheidungsträger:innen im Lebensmitteleinzelhandel haben es in der Hand: Das Wohl der Tiere muss in den Mittelpunkt der Tierhaltung gestellt werden. Die Verwendung von Begriffen wie ‘Stallhaltung Plus’ oder ‘Tierwohl’ verharmlosen die bestehenden Verhältnisse in der realen Tierhaltung. Wir brauchen völlig neue Ansätze in Zucht, Haltung und Fütterung. In der Hühnermast sind Einheiten von 40.000 Tieren der Standard. Das, was wir unter Tierschutz in der Landwirtschaft verstehen, muss sich an neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren.“

Nährboden für gefährliche Keime

Die hohe Keimbelastung sei mit auf die Bedingungen in Lidls Hühnermast zurückzuführen. Die Tierschutzorganisationen um die Albert Schweitzer Stiftung veröffentlichten dazu in den vergangenen Monaten mehrere Video-Recherchen aus Ställen von Lidl-Lieferanten in Deutschland, Spanien, Italien und Österreich. Die Tierschutzorganisationen fordern vom Lidl-Konzern, dass er der Europäischen Masthuhn-Initiative beitritt und seine Tierschutzstandards für die Hühnermast anhebt. Dieser habe aus den Enthüllungen bisher keine ernstzunehmenden Konsequenzen gezogen. Die Videos zeigen durch Qualzucht und Haltungsbedingungen geschwächte und kranke Tiere, die zu Tausenden in tristen Hallen leben. Dort liegen sie die meiste Zeit auf mit Exkrementen verdreckten Boden, teils zwischen toten Artgenossen.

Der hohe Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung begünstige, dass mehr Bakterien Resistenzen entwickeln: Da im Krankheitsfall meist alle Tiere im Stall Antibiotika erhalten (sog. Metaphylaxe), überleben vor allem resistente Bakterien. Diese können sich dann – ohne Konkurrenz von anderen Bakterien und zwischen vielen geschwächten Tieren auf engstem Raum – optimal vermehren. „Der Zusammenhang ist klar: wenn man sehr viele Tiere auf engem Raum hält, die unter schlechten Bedingungen gehalten werden und auch noch überzüchtet sind, dann breiten sich Krankheiten schnell aus. Dann steigt der Antibiotikabedarf. Und durch die Antibiotikagaben entstehen antibiotikaresistente Keime”, sagt Mahi Klosterhalfen.

Die „stille Pandemie“

Weltweit sterben jedes Jahr etwa 5 Mio. Menschen mit und davon 1,27 Mio. an antibiotikaresistenten Bakterien, schätzen Experten. In Deutschland sind es pro Jahr 45.700 Todesfälle, die im Zusammenhang mit resistenten Keimen stehen, sowie weitere 9.650, die direkt darauf zurückzuführen sind.*

*Quelle: Antimicrobial Resistance Collaborators / Institute for Health Metrics and Evaluation / Robert Koch-Institut 2022: Antimikrobielle Resistenzen: Krankheitslast in G7-Staaten und weltweit. Ein dringender Aufruf zum Handeln

Die Einhaltung der allgemeinen Zubereitungsempfehlungen (z.B. Fleisch durchgaren, Schneidebrett gut reinigen) allein reicht nicht immer aus, um eine Infektion mit den Keimen zu vermeiden. Dr. Imke Lührs: „Ich vergleiche die erforderliche Küchenhygiene gerne mit Arbeit im OP. Da ist Konzentration und absolute Sorgfalt erforderlich, die im Alltag nach meiner Meinung nicht eingehalten werden kann.” Zwar machen antibiotikaresistente Keime nicht sofort krank. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder solchen, die Antibiotika nehmen, können sich diese Keime ausbreiten und zu schwer zu behandelnden Infektionen führen. Im Ernstfall sind die Überlebenschancen dann geringer. Ferner können viele Standardbehandlungen und -operationen der modernen Medizin durch Antibiotikaresistenzen erschwert werden. „Es geht auch darum, dass ein typischer Harnwegsinfekt eines gesunden kleinen Mädchens einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich macht, weil orale Antibiotika nicht mehr wirken“, so Dr. Imke Lührs:

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