“IN UNSEREN BETRIEBSKANTINEN IßT MAN FAST WIE ZU HAUSE”

Gegenwärtig gibt es ca. 700 Restaurants in Moskau, vor sieben Jahren noch mußte man sie suchen. Seit 1997 wurden, so schätzt man, 20 Billionen US-Dollar in Rußland investiert, 80% flossen nach Moskau, doch trudelt das Land von Krise zu Krise. Nur langsam kommt der Wandel voran, die GV ist noch nicht im neuen Moskau angekommen, wie der Bericht von Gennadi Dounayev zeigt, der sich für GV-net über die Gemeinschaftsverpflegung im ASLK schlau machte.

Moskau, GV-net. Das Automobil Werk Leninscher Komsomol (ASLK) – bekannt durch die Produktion des PKW Moskwitsch – zählt gegenwärtig ca. 11.000 Beschäftigte und ist einer der größten Arbeitgeber in Moskau. Natürlich habe ich nicht mit allen 1500 von ihnen gesprochen, die in 10 Betriebskantinen des Werkes ihr Essen einnehmen. Aber die Befragten reagierten einmütig: der Betrieb der Gemeinschaftsküche, ein Tochterunternehmen des ASLK, arbeitet sehr gut. Sozusagen nach dem “Brotgeruch” findet man leicht den Weg dorthin.

Die Gemeinschaftsküche exisitiert im ASLK schon ca. 50 Jahre. Vor der Perestroika war dieser Tochterbetrieb sehr viel größer, da mehr Arbeiter im Werk beschäftigt waren. Vor einigen Jahren, als das ASLK praktisch für zwei Jahre stillgelegt worden war, wurde es besonders schwer für die Leute und für den Betrieb. Aber es gelang dem ASLK, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Besonders interessant ist, daß auch die Betriebskantine alle Schwierigkeiten hinter sich gelassen hat und keine Angestellten der Kantinen entlassen mußte. Zur Zeit sind etwa 250 Leute in der Gemeinschaftsküche des ASLK beschäftigt.

Aber gab es natürlich auch erhebliche Verluste. Früher (vor der Perestroika) gab es im Betrieb 25 Kantinen, jetzt nur 10 sowie Buffets, die nach Notwendigkeit aufgemacht werden. So zum Beispiel vor kurzem für eine Motorralley bei Moskau. Die Küche und deren Hilfspersonal vom ASLK waren dabei und boten auf der Veranstaltung Schaschlyk, selbstgebackenes Brot, Tee usw. an.

Das Menü während der Produktion im Betrieb ist natürlich viel bescheidener. Es überrascht vielleicht, aber in jeder Kantine des Werks gibt es unterschiedliche Gerichte, d.h. – nicht denselben Speiseplan für das ganze ASLK. Man kann die Frage stellen – wieso ? Doch, jede Kantine hat ihre Manschaft von Küchen, Technologen, Hilfspersonal. Jede Kantine studiert die Wünsche ihrer Stammkunden und ist bestrebt, sie zu befriedigen. Ein Beispiel dafür gibt die Direktorin der Kantine Nr.13, Ekaterina Kwassowa: “Eines Tages haben wir gehört, daß die angebotene Sülze gut angenommen wurde, doch stand kein Senf auf den Tischen, was umgehend korrigiert wurde”.

Aber zurück zur Vielfalt des Essens – jede Kantine hat gewisse Besonderheiten. So kann man zum Beispiel, in der Kantine Nr. 13 erstklassige “Beljaschi” essen, in der Kantine Nr. 12 -Fleisch mit Pilzen usw..

Die Direktorin der Speiseversorgung Vera Voronkova (Mitte), mit ihrer Chefköchin (Links) und ihrer Stellvertreterin Marina Archipowa (Rechts)

Es ist Schade, daß der Wunsch etwas Besonderes zu kochen und anzubieten, durch die reale Wirtschaftssituation gebremst wird. Es ist kein Geheimnis, daß das Personal nicht regelmäßig seinen Lohn ausgezahlt bekommt. Und der Lohn ist nicht so hoch wie erforderlich. Die Arbeiter, die zu Mittag kommen, studieren dementsprechend zuerst die Preise und erst danach die Gerichte.

Die Direktorin des Versorgungsbetriebes des ASLK, Vera Voronkova, hat das Leningrader Handelsinstitut absolviert. Als Direktorin arbeitet sie seit 16 Jahren für die Versorgung der ASLK-Belegschaft. Sie erzählt:

“In unseren Kantinen schmeckt das Essen in der Regel sehr gut. Bis zur Perestroika bedurfte es dafür lediglich einer guten Einstellung zur Arbeit. Die gegenwärtige schwierige Krise hat uns gelehrt, mehr nachzudenken, zu analysieren,zu improvisieren, an Produkten, ohne Nachteil für die Qualität der Versorgung der Arbeiter.

Unser Essen ist billiger im Vergleich zu den Stadtkantinen. Obwohl wir eine eigene Bilanzierung haben, erhalten wir eine umfangreiche Unterstützung vom Moskwitsch-Autowerk: wir zahlen keine Miete, wir zahlen nicht für Wasser, Wärme und Elektrizität. Die Lebensmittel für das Essen besorgen wir bei Großhändlern in großen Mengen oder direkt bei den Herstellern. Das Mehl beziehen wir direkt von der Mühle, Milch und Smetana – vom der Molkerei, Gemüse und Obst liefern die Bauern. Wir nutzen keine Importprodukte, da sie sehr teuer sind. Einheimische Produkte sind billiger und oft von besserer Qualität, v.a. durch ihre Frische. Das Brot backen wir selbst. Jede Nacht arbeiten zwei Bäcker. Und morgens in der Frühe lockt der Geruch gebackenen Brotes in die Kantinen. Wir haben eine eigene Konditorei. Torte und Kuchen sind sehr beliebt, – nicht nur im ASLK, sondern auch außerhalb des Werks in Moskau. Jeden Tag verkaufen wir allein Torten, Kuchen und Kekse für etwa 17.000 Rubel . Wir bemühen uns, daß jeder Arbeiter unbedingt Kuchen aus unserer Konditorei mit nach Hause nimmt. Wir verkaufen ihn in Durchgängen des Betriebes, in den Betriebsabteilungen, sogar in der Betriebspoliklinik, sowie natürlich in den Kantinen und Buffets.

Darüberhinaus haben wir eine zusätzliche Aufgabe, mehr Besucher in unsere Kantinen zu locken. Früher sind fast alle Arbeiter zum Mittagessen in die Kantine gegangen. Ein Rubel war ausreichend dafür. So gab es zum Beispiel früher 4 Speisesäle in der Kantine Nr. 13. Und das Personal hat alles gemacht, um Schlangen im Speisesaal zu verhindern. Jetzt funktioniert nur ein Saal und das Personal kämpft um jeden Besucher. Die Gerichte müssen deshalb besonders schmackhaft, die Kantine stets sauber sein, die Atmosphäre – angenehm und nett. Widrigenfalls bringt der Arbeiter seine belegten Brötchen sowie Milch oder Tee selbst mit und ißt direkt am Arbeitsplatz. Es verlieren dann alle – die Arbeiter, das Kombinat, von Gesundheit und Gewinnen nicht zu reden.

Und die Gewinne brauchen wir nicht nur dafür, um gute Produkte zu kaufen, den Lohn unserer Arbeiter regelmäßig zu zahlen, sondern auch für eine neue Küchenausrüstung sowie die anstehende Renovierung. Die Küchen sowie deren Ausrüstung sind nicht schlecht, bedürfen jedoch der Erneuerung. Z.Zt. haben wir nicht genügend Geld auch für Getränke-Automaten und neues Geschirr.”

Auf dem Weg durch den Betrieb hatte ich Gespräche mit jungen Arbeiterinen des Betriebs. Sie sprachen sich durchweg positiv über ihre Kantine aus. Viele von ihnen würden gern am Kantinenessen teilnehmen, können es sich jedoch nicht leisten, da sie vor der Entlassung stehen und das Geld sparen müssen.

Weder Diätarzt, noch ein Diätspezialist sind gegenwärtig im Autowerk tätig. Deshalb folgt die Küche der Regel: in jeder Speisekarte muß etwas Leichtes enthalten sein, da nicht alle Mitarbeiter über eine gute Gesundheit verfügen. Das Personal der Kantinen denkt auch an den Kaloriengehalt Essens, kann ihn aber nur nach Gefühl messen. Die Küche ist bestrebt, ein gesundes Verhältnis von Fett, Eiweiß und Kohlehydraten einzuhalten. So kommen in der Saison Gemüse und Obst auf den Tisch, im Winter – unbedingt Sauerkraut, wegen der Vitamine.

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