Das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration durch die Novellierung des Tierschutzgesetzes stellt alle Marktbeteiligten bis 2019 vor große Herausforderungen. Das Symposium Eberfleisch, zu dem die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) nach Frankfurt eingeladen hatte, gab einen Überblick über den aktuellen Stand von Praxis und Forschung. Dabei wurde deutlich, dass das hochkomplexe und zugleich sensible Thema dringend einer faktenorientierten öffentlichen Kommunikation bedarf, der die DLG eine Plattform gibt.
Aufgrund der Novellierung des Tierschutzgesetzes ist in Deutschland ab 2019 die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Die derzeit praktizierte chirurgische Kastration von Ferkeln mit analgetischen Verfahren ist nur als Zwischenlösung bis zum gänzlichen Verzicht anzusehen. Sie wird aber, wie Robert Römer (QS GmbH) deutlich machte, auch künftig QS-Standard bleiben.
Der Hauptgrund für die routinemäßige Kastration beim Schwein liegt primär in der Verhinderung der Entwicklung des sogenannten Ebergeruchs. Hervorgerufen wird dieser durch die körpereigenen Substanzen Androstenon und Skatol, deren Wahrnehmung beim Menschen individuell sehr unterschiedlich ist und von angenehm bis unangenehm (fäkal bzw. urinös) reichen kann.
International gesehen gibt es deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung und Akzeptanz von Ebergeruch. In England oder Portugal wird Eberfleisch wesentlich besser akzeptiert als in Frankreich, Schweden oder Deutschland. Aus anderen Ländern gesammelte Erkenntnisse sind nicht automatisch auf Deutschland übertragbar.
PD Dr. Ulrike Weiler (Universität Hohenheim) wies auf zwei Aspekte hin, die in der Öffentlichkeit bislang weitestgehend unbeachtet geblieben sind: Aufgrund einer unterlassenen Kastration der männlichen Ferkel darf nicht die Situation eintreten, dass bei gemischter Haltung trächtige Jungsauen in großer Zahl zur Schlachtung gelangen. Dies würde zu einer Pervertierung des Tierschutzgedankens führen. Die getrenntgeschlechtliche Jungebermast ist deshalb ein Muss. Hierbei gilt es allerdings, das erhöhte Aggressionsverhalten, das vor allem rangniedere Eber trifft, unter Tierschutzgesichtspunkten im Blick zu behalten.
Sven Häuser, DLG-Projektleiter Schweineproduktion, berichtete von Erfahrungen, die zeigen, dass Jungebermast in der landwirtschaftlichen Praxis funktionieren kann, wenn die hohen Anforderungen an das Management (Aufstallung, Fütterung, Vermarktung) erfüllt werden. Die Jungebermast stellt sich als besonders geeignet für diejenigen dar, die auf Verarbeitungsstrukturen in der näheren Umgebung zurückgreifen können. Lange Transportwege quer durch die Republik zu Verarbeitungsstätten, die Eber ohne Preisabschlag abnehmen, sind nicht nur aus Tierschutzgründen abzulehnen, sie führen auch nachweislich zu schlechterer Fleischqualität. Die „Achillesferse“ bei der Jungebermast ist allerdings die eindeutige Identifikation von „Stinkern“ am Schlachtband sowie deren Vermarktung.
Einheitliche Definition „Ebergeruch“ fehlt
Der Begriff „Ebergeruch“ wird derzeit universell genutzt, obwohl er laut Dr. Daniel Mörlein (isi GmbH) sehr unterschiedliche Geruchsqualitäten beschreibt. Dies hat Konsequenzen für die objektive Geruchsbewertung bzw. die Ausbildung von Test-personen. Denn für eine objektive beschreibende Prüfung ist ein einheitliches Begriffsverständnis zwischen den Prüfpersonen essentiell. Nach Aussage von Prof. Dr. Matthias Upmann, Hochschule Ostwestfalen Lippe, steht für die Schlacht- und Fleischuntersuchung derzeit noch kein amtliches Verfahren für Geruchstests am Schlachtband zur Verfügung. Rund 3 bis 5 % der männlichen Schweineschlachtkörper erhalten aufgrund ausgeprägter Geruchsauffälligkeiten eine Untauglichkeitsbeurteilung. In Deutschland werden daher nach Aussage von Hubert Kelliger (Westfleisch eG) 900 Tonnen Schweinefleisch pro Woche als K3 Material in der Tierkörperbeseitigung entsorgt. Er bewertete diese Praxis als moralisch höchst bedenklich und forderte nach fünf Jahren Erfahrung in der Eberfleischvermarktung eine Rückkehr zur sicheren Kastration mit analgetischen Verfahren.
Die Teilnehmer des DLG-Symposiums zeigten sich davon überzeugt, dass auch Verbraucher diese Praxis aus ethischen Gründen ablehnten, wenn sie davon Kenntnis hätten.
Die Maskierung von Ebergeruch in Verarbeitungsprodukten durch Zugabe spezifischer Gewürze, wie sie Prof. Dr. Dr. Ingo Schnäckel, Hochschule Anhalt, vorstellte, lehnt die Fleischwarenindustrie ab, da bei allen Marktbeteiligten Konsens hinsichtlich größtmöglicher Transparenz besteht.
Alternativen
Aus Tierschutzsicht stellt derzeit nach Expertenmeinung die immunologische Kastration das einzige Alternativverfahren dar, das tiergerecht und wirtschaftlich tragfähig ist. Die Applikation des seit 2009 in der EU zugelassenen Impfstoffs Improvac® ist ein Verfahren, das beispielsweise in Australien und Neuseeland seit 1998 erfolgreich praktiziert wird. Prof. Dr. Achim Stiebing (Hochschule Ostwestfalen Lippe und Vizepräsident der DLG) präsentierte
Untersuchungsergebnisse, die zeigten, dass sich Fleischerzeugnisse von Tieren, die gegen Ebergeruch behandelt wurden, nicht von Kontrollprodukten kastrierter Tiere unterscheiden. Die Impfung vermeidet die Entstehung des nachteiligen Geruchs ebenso zuverlässig wie die Kastration. Trotz aller Vorzüge der Immunokastration scheidet das Verfahren hierzulande bisher aus, da bei Handel und Verbrauchern mit großen Akzeptanzproblemen zu rechnen ist. Sie gilt es durch eine offene, faktenorientiere Kommunikation zu widerlegen. |
Eine weitere Alternative wäre die Kastration unter Betäubung, die bereits in den Niederlanden oder der Schweiz Anwendung findet. In Deutschland fällt die Anwendung von Isofluran allerdings unter das Betäubungsmittelgesetz und bleibt demzufolge dem Tierarzt vorbehalten. In der breiten landwirtschaftlichen Praxis wäre diese Methode daher nur umsetzbar, wenn sie vom Tierhalter selbst mit entsprechendem Sachkundenachweis ausgeführt werden könnte.
Das DLG-Symposium Eberfleisch machte deutlich, dass eine umfassende Aufklärungsarbeit notwendig ist, um die Öffentlichkeit über die Problematik und mögliche Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration sachlich zu informieren. Ziel muss es sein, Verbrauchererwartungen, Tierschutz und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen. Dazu war das DLG-Symposium ein erster wichtiger Schritt.
Der Vorsitzende des DLG-Ausschusses Fleisch Dr. Klaus-Josef Högg (rechts) moderierte das DLG-Symposium Eberfleisch. Die Referenten (von rechts nach links): Prof. Dr. Achim Stiebing, PD Dr. Ulrike Weiler, Hubert Kelliger, Robert Römer, Prof. Dr. Matthias Upmann, Prof. Dr. Dr. Wolfram Schnäckel, Dr. Mark Bücking und Dr. Daniel Mörlein. Es fehlt Sven Häuser.